Unsettled in Kolumbien, Teil 2
Unser erster Ausflug mit meiner Unsettled-Bande hat uns nach Jardín geführt, offiziell 2,5 Stunden mit dem Auto von Medellín entfernt, wir brauchten 4! Es war kurvig und holprig, die Straße oft durch Baustellen-Schotterpisten unterbrochen. Die Landschaft blieb unbeeindruckt von all der Verkehrshektik und dem Staub und erfreute mein Herz. Die Berge wie mit grünem Samt überzogen, dazwischen Taleinschnitte mit kleinen, hohen Bambuswäldern – wie große hellgrüne Federbuschenbälle, die sich sanft mit dem Wind bewegen. Palmen, Kühe im Schatten von Bäumen, Pferde, Maultiere; vor, neben und hinter uns Menschen auf ihren Motorrädern, amerikanische Trucks (LKW mit bis zu zwei Meter langer Motorhauben-Schnauze vor der Fahrerkabine), öffentliche, große und kleine Busse. Und wieder diese mutigen Radfahrerinnen, die den dichten Staub ignorierten und fest entschlossen ihren Platz am Rand der Fahrbahn verteidigend bergauf schnaufen. Die Fahrt wurde nie langweilig.
Ich schloss zwischendurch die Augen, ich wollte die Eindrücke fest in meinem Inneren sichern. Ich wollte diese Bilder nicht wieder verlieren an den Alltag. Und ich dachte: Ich würde so gern Teil der Landschaft werden, mich reinflechten lassen. Zu einem der Baumbusbuschen werden, mich sanft im Wind wiegen lassen und den Rest der Welt vergessen. Diese Gedanken geben mir Ruhe und Zufriedenheit, es heilt vom Druck und den Wunden der vergangenen Jahre. Ich weiß, warum Grün meine Lieblingsfarbe ist, sie macht mich wieder ganz.
Gastfreundschaft auf der Finca
Gefühlskram. Ihr wollt wissen, was wir hier erleben. Zu Recht, wie ich meine! Also: Wir waren zu Gast bei Martha und Gustavo Osorio, Kaffeebauern in Jardín. Sie luden uns auf ihre Finca ein, die rund vier Kilometer von dem supersüßen kleinen Dorf Jardín liegt. Das Ehepaar lehrte uns viel über Kaffee in Kolumbien, zeigten uns seine Felder und Martha kochte für uns mein bestes Bandeja paisa hier in Kolumbien. Es ist ein gemischter Teller mit verschiedenem Fleisch, Reis, Erdäpfeln, ein hart gekochtes Ei, Kochbanane, Avocado, Bohnen und Arepa (runde Kukuruz-Fladen). Er wird so vor allem in der Region Antioquia am Land gern zu Mittag gegessen. Und sie servierte es so, wie es wohl auch die Kaffeepflücker bekommen, eingepackt in einem Bananenblatt und kalt. Dazu tranken wir Agua de Panela, ein Getränk aus Zuckerrohr, nicht zu süß, erfrischend. Grandios!
Der Bauernhof liegt auf rund 1.750 Meter über dem Meeresspiegel, perfekt für Kaffee, wie uns Gustavo erzählte. Die Familie betreibt die Finca in vierter Generation und nutzt 5 ihrer 9 Hektar Land für Kaffeeanbau. Wie Kaffee angebaut und geernet wird, könnt ihr googeln, darüber wurde genug geschrieben. Nur soviel: Wir bekamen alle einen Strohhut aufgesetzt und pflückten Kaffee, eine tolle Erfahrung – und gab uns einen Eindruck von der harten Arbeit.
Neuer Kaffeegeschmack braucht Zeit
Spannend war für mich, dass Gustavo und Martha erst seit zwei Jahren den guten kolumbianischen Kaffee, wie wir ihn kennen, selbst trinken. Zuvor tranken sie einen Kaffee, der aus einer Mischung von Abfallbohnen besteht und zu Instantkaffee verarbeitet wird. Der gute Kaffee ist nur für den Export, er ist die Einkommensquelle von rund 500.000 Familien hier in Kolumbien. Ich musste schmunzeln, als Gustavo davon erzählte, wie er seinen Nachbarn den „richtigen“ Kaffee anbot und sie angewiedert verweigerten: Den könne man ja nur mit viel Zucker trinken. Sie bevorzugen weiter ihren seit jeher gebrauten Kaffee. Geht es euch nicht genauso, wenn ihr eine neue Sorte für daheim ausprobiert? Bei mir dauert es immer einige Tassen, bis er mir schmeckt. Den Kolumbianierinnen hier geht es wohl genauso.
Kein Jobangebot als Kaffeepflückerin
Warum ich kurz überlegte, bei den Osorios anzuheuern, waren die vielen Avocadobäume und Bananen- und Kochbanenstauden zwischen den Kaffeepflanzen. Hier lässt es sich gut leben, dachte ich mir. Doch Gustavo lehnte mein vorsichtiges Angebot, länger zu bleiben und ihm für Kost und Logis bei der Ernte zu helfen, zwar freundlich, aber bestimmt ab. Sein Gesichtsausdruck brachte uns zum Lachen, er dachte wohl: „Auf welche absurden Ideen diese Gringos kommen?“ Er erklärte uns, warum er mich nicht brauchen konnte: Es werde zwar immer schwieriger, gute Kaffeepflücker zu finden und es müssen erfahrene Leute sein, die hart arbeiten können. Dies traute er mir wohl nicht zu. Ihr müsst euch vorstellen, dass bei guter Erntezeit ein Pflücker pro Tag 300 bis 400 Kilogramm der roten Beeren per Hand von den mannshohen Bäumen pflückt. Dafür verdienen sie rund 150.000 Pesos pro Tag, das sind umgerechnet rund 39 Euro. Das ist hier viel Geld. Aber ich würde wohl nicht einmal die 25 Kilo schaffen, die die Arbeiter umgerechnet für ihr Mittagessen auf der Hazienda selbst zahlen müssen, 12.000 Pesos. Ich würde wohl verhungern. Und mich illegalerweise wochenlang nur von den Avocados am Feld zu ernähren, war dann auch keine so feine Vorstellung. Also zog ich weiter mit meiner Unsettled-Bande zu unserem nächsten Abenteuer.
Hasta luego, amigos!
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