Schreibrezept 9

Schreib, bevor du schreibst!

Wenn du wie ich vor einem wichtigen Text wie ein Wolf den Schreibtisch umkreist. Wenn dir im August einfällt, die Weihnachtsdekoration auszusortieren. Wenn du unbedingt jetzt die grauen (vormals weißen) Fliesen-Fugen im Badezimmer mit einer Zahnbürste bearbeiten musst. Wenn dir alles Mögliche und Unmögliche einfällt, was du plötzlich sofort und jetzt erledigen musst und dein wichtiger Text leider weiter warten muss. Dann passt dieser Schreibtipp vielleicht für dich: Schreib!

Nein, das ist kein dummer Scherz, es ist eine Strategie, die dich ins Schreiben bringen kann. Die Methode nennt sich Freischreiben: Schreib dich von allem frei, das durch deinen Kopf geht, so schaffst du Raum und Motivation für die zu erledigende Aufgabe.

So geht es:

  • Schreib fünf bis zehn Minuten über alles, was in deinen Gedanken auftaucht.
  • Groß- und Kleinschreibung: egal. Punktation: egal. Grammatik: egal. Einfach drauflos schreiben. Niemand wird den Text lesen.
  • Schreib deine Einkaufsliste, deinen Frust über das Wetter, den Ärger mit Kolleg*innen, Ideen für den Geburtstag deiner besten Freundin, Aufgaben, die du dringend zu erledigen hast – zum Beispiel die Aussortierung der Weihnachtsdekoration, im August.
  • Stell dir den Wecker und probiere aus, wie viel Zeit du für dein Freischreiben brauchen. Das ist je nach Person unterschiedlich. Wenn die Zeit um ist, höre auf.
  • Lies dir durch, was du geschrieben hast, wenn du willst. Unterstreiche, was dir auffällt. ODER:
  • Wirf den Zettel einfach weg. Hier geht es nicht um den Inhalt, sondern nur um das Vorbereiten auf das eigentliche Schreiben.

Es hilft mir bei akuter Aufschieberitis, auch Prokrastination genannt. Diese Taktik bringt mich in den Schreibfluss und trainiert den Schreibmuskel. Der Clou dabei ist, dass ich nach diesen wenigen Minuten des freien Schreibens leichter mit dem eigentlichen Text beginne und konzentriert daran arbeiten kann.

Es ist nicht wichtig, was du schreibst!

Vieles kann auftauchen beim Freischreiben auch Existenzielles, der Tod, die Liebe, der Körper, das Altern, Angst. Oft tauchen vergessene Pläne wieder auf oder sogar neue Ideen.

  • Falls es passiert: Das ist ganz normal!
  • Falls es nicht passiert: Das ist ganz normal!

Es ist nicht wichtig. Wichtig sind die zehn Minuten des Tuns. Danach ist dein Kopf bereit. Die Schreibhand oder die Tipp-Finger sind aufgewärmt, es kann losgehen.

Schreibwerkzeug Nummer 1: dein Körper

Schreiben ist ein Handwerk und je besser du deine Werkzeuge beherrschst und pflegst, desto mehr Freude hast du dabei. Dein wichtigstes Schreibwerkzeug ist nicht etwa deine Füllfeder oder der Computer, dein wichtigstes Schreibwerkzeug ist dein Körper. Wärme ihn auf, mach ihn geschmeidig und bereite ihn auf seine Aufgabe vor. Je öfter du das tust, umso erfolgreicher bist du im Kampf gegen die Aufschieberitis. Weihnachten ist erst in fünf Monaten und graue Badezimmer-Fliesenfugen finde ich wunderbar.