Nach drei Wochen in Medellín habe ich jetzt im Moment gerade genug. Die Stadt ist 24 Stunden lang laut, die Luft schwer von den Abgasen des Verkehrs und es strengt Körper und Geist an. Das spüre ich jetzt besonders, nach einem Zwei-Tages-Ausflug mit meiner beunsettled-Kollegin Zuzana nach Guatapé.
Wir waren zwei Stunden mit dem öffentlichen Bus über die Berge zu einem wunderschönen Stausee gefahren, dem man es nicht ansieht, dass er für zehn Prozent der Stromversorgung Kolumbiens sorgt. Die Landschaft ist geprägt von vielen kleinen grünen Inseln im See mit steilen orangebraunen Ufern, dort wo der Wasserspiegel wohl sonst um ein bis zwei Meter höher steht. Jede Besucherin hier steigt auf den Piedra de El Peñol (oder Piedra de Guatapé, darüber streiten die benachbarten Gemeinden gerne). Der Aufstieg auf diesen grauschwarzen Felsen über rund 700 Stufen wird belohnt mit einer atemberaubenden Aussicht. Instagram ist voller fantastischer Fotos – da kann selbst ich als Insta-Anfängerin fast nichts falsch machen.
So viele Geschichten
Zurück in Medellín spüre ich in unsere beunsettled-Gruppe hinein. Zusammengewürfelt und alle auf der Suche. Verschiedene Kulturen, Vorlieben und Charaktere sorgen in der dritten Woche für neue Distanz, um uns in der vierten Woche dann umso enger zusammenwachsen zu lassen. Zumindest erlebe ich es so und ich bin dankbar für diese Erfahrung. Jeder hat eine abwechslungsreiche Geschichte hinter sich, Familie, Freundinnen, Liebe, die kommt und geht. Viel Stoff für meine Geschichten: Anekdoten von verrückten Tanten und Großonkeln, dramatische Liebesdramen, aufregende Abenteuer und traurige Abschiede für immer. Wir erzählen uns von unseren ersten Livekonzerten, diskutieren über Politik (nicht immer einfach) und bekochen uns gegenseitig mit unseren Lieblingsgerichten von daheim. Mein Apfelstrudel nach dem Rezept meiner Mutter war Weltklasse und für viele der erste in ihrem Leben. Alle liebten ihn und ich bekam feuchte Augen. Ich werde sie vermissen: Lee, Sarah-Maude, Victoria, Fabrizio, Matty, Seyi, Zuzana und unseren Daddy Corey.
Traum und Wirklichkeit
Die Stadt hat sich verändert in den vergangenen Wochen. Sie kommt mir lauter und rauher vor und die Luft scheint stickiger. Wenn ich hier am Balkon unseres Appartements den Blick über den Bildschirm hebe, ist die Aussicht immer noch beeindruckend wie am ersten Tag. Doch die Farben verblassen, das Grün der Bäume, die rotbraune Erde auf den Bergen, die roten Ziegeln der Hochhäuser, die gelben und violetten Blüten am Wegrand. Es erinnert mich an die Phase nach der ersten Verliebtheit, wenn die Hormone aufhören verrückt zu spielen. Wenn der Moment der Ernüchterung kommt, den ihr wohl alle auch schon erlebt hat. Ich sehe die Frauen und Männer mit Babys am Straßenrand, Lutscher und Zuckerl pro Stück verkaufend. Junge Mädchen und Burschen mit nur einem Arm oder einem Bein, die ihre Gliedmaßen sicher bei einer der wahnwitzigen Fahrten mit dem Motorrad verloren haben. Mein Blick hat sich für die Schattenseiten dieser Stadt geschärft.
Zu Gast und keine Nomadin
Ich fühle Wehmut über den bevorstehenden Abschied und gleichzeitig Heimweh. Eine der Fragen, die ich mir für diese Reise gestellt hatte, war: Wie wäre es, als digitale Nomadin zu leben? Es gibt viele, die es lieben, zu reisen und an den, für mich, exotischen Plätzen dieser Welt auf Abruf oder noch besser, nur dann, wenn sie es wollen, zu arbeiten. Kolumbien hat meinem Schreiben gut getan. Aber ich weiß jetzt, dass ich wohl um 25 Jahre zu spät dran bin für diese Idee. Ich bin schon lange angekommen, in Wien und in Reichenau. Reisen ja, aber nicht als Nomadin, sondern als eine Besucherin, die gerne wieder heimkehrt.
Meine 3 Tipps für Kolumbien
1. Lernt Spanisch, damit ihr den Menschen hier näher kommt, die meisten sprechen kein Englisch, schon gar kein Deutsch.
2. Nehmt euch genügend Zeit für eure Reise – für Städte, für die Musik und das pulsierende Leben, für Kunst und Kultur und für die Natur auf Bergen, im Dschungel und an den Küsten.
3. Probiert unbedingt alle Gerichte des Landes durch und die frischgepressten Fruchtsäfte, die ihr an jeder Ecke bekommt.
Es ist halt was anderes, als „Nomade/in“ zu leben oder zu wissen, es gibt eine Rückkehr in ein „Daheim“. Eines, das man kennt, wo man weiß wo das gelbe Heferl für`n Kaffee steht. Und wo man, sofort wieder „losziehen“ möchte sobald man daheim ist. Das alles muss man erst einmal wagen – in den eigenen 4 Wänden ist das ja immer einfach.
Trotzdem ist das eine tolle Reise, ein wunderbarer Bericht, und ein tolles Erlebnis.
Und auch eine Geschichte für den Kopf – denn wir Leser können „im Kopf mitreisen“ – das ist das wunderbare daran.